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Vorstand
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als Exportnation besonders belasten. So werden die Bürger- innen und Bürger seitens der Politik schon darauf vorbereitet, dass uns diese „Zeitenwende“ Wohlstand kosten wird. Allein die finanziellen Aufwendungen für die Neuausrichtung der Energie- und Verteidigungspolitik werden den Bundesfinanz- minister vor völlig neue Herausforderungen stellen. Die hohen Energiepreise treiben die Inflation weiter in die Höhe. Damit verbunden ist auch die Frage nach der weiteren Finanzierung der Sozialversicherung, deren Zweige auf Bundesmittel ange- wiesen sind – insbesondere die Gesetzliche Krankenversiche- rung und Soziale Pflegeversicherung.
Neben der Finanzierungsfrage ist der dringlichste Punkt zur Weiterentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen. Oberste Priori- tät muss hier die Krankenhausversorgung haben. Maßnahmen hierzu sieht der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vor – das Bundesgesundheitsministerium hat die „Regierungskom- mission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhaus- versorgung“ zwischenzeitlich berufen. Der stationäre Sektor ist mit rund 35 Prozent der Gesamtkosten der größte Aus- gabenblock der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Ver- sorgungslandschaft wie wir sie bisher kennen, wird sich ver- ändern. Besonders die angespannte Personalsituation und der Mangel an Fachpersonal in den Kliniken machen eine Reform so dringend notwendig. Neue und spezialisierte medizinische Behandlungsmethoden, die durch spezialisierte Ärzteteams er- bracht werden, können nicht in jedem Krankenhaus vorgehal- ten werden. Hier bedarf es einer Neugliederung der Kranken- hauslandschaft – das Konzept der Gliederung nach Häusern der regionalen Grundversorgung und überregionaler Schwer- punkt- und Maximalversorgung kann ein richtiger Ansatz sein. Auch das Vergütungssystem mittels der Fallpauschalen hat eine Komplexität erreicht, die einer Überprüfung bedarf. Schließlich muss die, mit dem MDK-Reformgesetz eingeführte, Quotierung der Krankenhausabrechnungsprüfung rückgängig gemacht werden. Den Krankenkassen muss es möglich sein, abgerechnete Leistungen zu überprüfen, insbesondere im größten Kostenblock, den Krankenhäusern. Ein Ausschluss der Rechnungsprüfung per Gesetz widerspricht dem Wirtschaft- lichkeitsgebot.
Auch bei den ambulanten Versorgungsstrukturen, vor allem im ärztlichen Bereich, besteht weiterhin Reformbedarf. In ländlichen Regionen und Ballungszentren unterscheidet sich das Versorgungsangebot teils erheblich. Eine flächendecken- de Haus- und Facharztversorgung sicherzustellen wird für die Kassenärztlichen Vereinigungen zunehmend zur Herausfor- derung. Die Politik hat dies erkannt und hält dem Schwund der Ärzte in ländlichen Regionen mit Landarztprogrammen entgegen. Das allein wird aber nicht ausreichen. Dem seit ei- nigen Jahren erkennbaren Trend, weg von der traditionellen Niederlassung als Vertragsärztin oder Vertragsarzt an einem dauerhaften Standort hin zum Anstellungsverhältnis, muss mit
der Schaffung neuer Organisationsstrukturen begegnet wer- den. Den in Baden-Württemberg eingeschlagenen Weg zur Förderung von Primärversorgungszentren, in denen Ärztinnen und Ärzte und weitere Gesundheitsberufe in Anstellung inter- disziplinär die Versorgung, gerade in weniger dicht besiedelten Regionen, sicherstellen sollen, halten wir für richtig.
Der Bundesgesundheitsminister der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, Jens Spahn, hat wie kein Gesund- heitsminister zuvor die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorangetrieben. Mehrere Reformpakete wurden unter seiner Führung auf den Weg gebracht. So gingen die elektronische Patientenakte oder das elektronische Rezept, wenn auch unter aus Datenschutzgründen erschwerten Bedingungen, an den Start. Die Ampelkoalition sollte die angestoßene Digitalisie- rungsagenda konsequent weiterverfolgen. Betriebskranken- kassen haben das Potential der Digitalisierung früh erkannt. Schon in den 90er Jahren wurden erste Projekte umgesetzt, um Kundenbeziehungen und Services digital abzubilden. Sei- nerzeit in Teilen als „virtuelle Krankenkassen“ diffamiert, hat dies die Kolleginnen und Kollegen nicht davon abgehalten, diese Projekte kontinuierlich weiterzuentwickeln – heute bie- ten die Betriebskrankenkassen, traditionelle wie geöffnete, für ihre Versicherten, Arbeitgeber und Gesundheitspartner digita- le Services an.
Als Teil der Digitalisierungsstrategie Gesundheit und Pflege nimmt die Diskussion rund um die Nutzung von Gesundheits- daten zu Forschungszwecken immer größeren Raum ein. So sieht auch an diesem Punkt der Koalitionsvertrag der Bundes- regierung vor, ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz auf den Weg zu bringen und eine dezentrale Forschungsdateninfra- struktur aufzubauen. Innerhalb der Europäischen Union (EU) wird ein europäischer Gesundheitsdatenraum entstehen. Die EU-Kommission hat Anfang Mai 2022 einen Verordnungs- entwurf veröffentlicht, der die Schaffung des EU-Gesund- heitsdatenraums beinhaltet und im Jahr 2025 stehen soll. Am Ende steht die Vision des Austausches von Gesundheits- und Behandlungsdaten, wie Befunde, Laborergebnisse, MRT- oder Röntgenbilder in der Versorgungskette auch über die innereu- ropäischen Ländergrenzen hinweg. Die so genannte sekundäre Datennutzung regelt die Bereitstellung von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke in öffentlichen Gesundheitsinstitu- tionen und in der Industrie. Ohne Zweifel sind medizinische Daten für die Forschung und Entwicklung neuer medizinscher Produkte, wie Arzneimittel oder Behandlungsmethoden, ein enorm wichtiger Rohstoff. Aus unserer Sicht wird darauf zu achten sein, dass das hohe Gut der Gesundheitsdaten auch tatsächlich nur für die angedachten Zwecke, der medizini- schen „gemeinwohlorientierten“ Forschung genutzt werden. Der BKK Landesverband Süd begleitet im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg innerhalb der B 52- Verbändekooperation Baden-Württemberg diesen Prozess konstruktiv im Interesse der Versicherten.
 


























































































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