Gemeinsame Presseinformation
der Krankenkassen in Hessen
der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
Prof. Dr. Andreas Pitz
der Björn Steiger Stiftung
Prüfbericht belegt strukturelle Defizite im Rettungsdienst – aktuelle Rettungsdienstorganisation in Hessen ist veraltet, teuer und gefährdet die Patientensicherheit
Die aktuelle Struktur des Rettungsdiensts in Hessen gefährdet die Versorgung von Patientinnen und Patienten durch unterschiedliche Versorgungsstandards und unnötige Kommunikationswege im Einsatzfall. Dies zeigt der aktuelle Prüfbericht der Verbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen in Hessen, der heute veröffentlicht wurde. Grundlage des Berichts sind vor allem die Einsatzdaten der 25 hessischen Leitstellen.
Die Auswertung zeigt: In vielen hessischen Regionen passen Zuschnitt und Steuerungslogik der Rettungsdienstbereiche nicht mehr zu den tatsächlichen Anforderungen an eine moderne Notfallrettung. Gleichzeitig dokumentiert der Bericht strukturelle Mängel, die sowohl Auswirkungen auf die Patientensicherheit als auch auf die Wirtschaftlichkeit haben.
Gesetzlicher Prüfauftrag seit über 25 Jahren unberücksichtigt
„Seit 1999 haben die zuständigen Rettungsdienstträger gemäß § 5 Abs. 3 HRDG den gesetzlichen Auftrag, regelmäßig die fachliche und wirtschaftliche Zweckmäßigkeit des Zuschnitts der Rettungsdienstbereiche zu überprüfen. Dies ist bis heute nicht erfolgt, so dass die vdek-Landesvertretung Hessen im Auftrag der Verbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen auf der Basis der rettungsdienstlichen Einsatzdaten aller 25 Leitstellen einen entsprechenden Prüfbericht erstellt hat. Die Ergebnisse dokumentieren die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte: Das System krankt seit Jahren, und die Leidtragenden sind die Patientinnen und Patienten“, erklärte Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung Hessen, stellvertretend für die GKV heute bei der Vorstellung des Prüfberichts.
Wachsende Herausforderungen – veraltete Strukturen
Der Bericht verdeutlicht, dass die bestehenden Strukturen zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Zentrale Defizite sind die fehlende Steuerung der Patientinnen und Patienten in die für ihr Anliegen passende Versorgungsform, Doppelstrukturen im Leitstellenwesen sowie eine Überlastung des Systems durch nicht notfallbedingte Einsätze.
Patientensicherheit und Steuerungsqualität stärken – eine virtuelle Gesundheitsleitstelle für ganz Hessen
Die gesetzlichen Krankenkassen in Hessen sprechen sich mit dem Bericht auch im Hinblick auf die auf Bundesebene geplante Reform der Notfallversorgung für eine zukunftsorientierte Modernisierung der Strukturen am Beispiel anderer Länder aus. Ziel muss es sein, Patientinnen und Patienten sicher, effizient und entsprechend ihrer medizinischen Bedarfe in das dafür geeignete Versorgungssystem zu leiten: Durch eine virtuelle Gesundheitsleitstelle für Hessen, die von der Notfallrettung bis zur Gesundheitsberatung alle Bereiche der Gesundheitsversorgung abdeckt. „Eine sachgerechte Steuerung der medizinischen Notfälle ist nur mit klaren Zuständigkeiten und effizienter Leitstellenstruktur über Kreisgrenzen hinweg möglich. Die aktuelle Anzahl der Leitstellen ist teuer und blockiert den Weg für Innovationen und zu mehr Effizienz und Sicherheit. Wir erwarten, dass die Rettungsdienstträger ihrer gesetzlichen Pflicht endlich nachkommen. Damit die virtuelle Gesundheitsleitstelle funktioniert, benötigen wir standardisierte Notrufabfragen und darauf abgestimmte Abfragen für nicht-dringliche Akutfälle. Gleichzeitig ist ein leistungsfähiges Einsatzleitsystem inkl. Prognosefähigkeit und TI-Anbindung zwingend notwendig. So werden präklinische und Akutversorgung durch eine zentrale Kontaktstelle (single-point-of-contact) signifikant verbessert“, so Ackermann weiter.
Durch die virtuelle Gesundheitsleitstelle werde nicht nur die Patientensicherheit deutlich gestärkt. Auch die aktuellen Kosten der Leitstellen könnten deutlich gesenkt werden, wie Dr. Isabella Erb-Herrmann, Vorständin der AOK Hessen, stellvertretend für die GKV ergänzte: „Eine aktuelle Auswertung der AOK Hessen zeigt, dass die Leitstellen-Gebühren der Notfallrettung innerhalb von 10 Jahren - von 2015 auf 2025 - um 73,41 % gestiegen sind; die des Krankentransportes sogar um 97 %. Im Landkreis Groß-Gerau stiegen die Leitstellen-Gebühren für Rettungs- und Notarztwagen pro Einsatz sogar von 46,50 auf 146, 75 EUR. Hinzu kommt: In Hessen trägt das Land seit 2021 einen festen Anteil von lediglich rund 2 Millionen Euro an den Personalkosten der Leitstellen. Dieser Betrag wurde bislang nicht an die Inflation angepasst, wodurch sich der reale Landesanteil kontinuierlich verringert hat. Gleichzeitig beteiligen sich die Kommunen seit 2010 nur noch mit 20 Prozent an der Finanzierung der Leitstellen. Die Hauptlast der Kosten für den Rettungsdienst wird somit überwiegend von den Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung getragen. Es ist Zeit, etwas zu ändern.“
„Wenn wir uns fragen, wie ein besser funktionierender Rettungsdienst aussehen kann, dann muss es wieder darum gehen, die echten Notfälle schnell zu identifizieren und Patienten so schnell wie möglich in die medizinisch hochqualifizierten Behandlungseinheiten zu bringen. Also zum Beispiel dann, wenn es um Herzinfarkte oder Schlaganfälle geht, die naheliegenden Chest Pain und Stroke Units anzufahren. Die Frage, wie wir das Überleben der Patienten organisieren, muss also wieder in den Vordergrund und unsere Strukturüberlegungen bestimmen und nicht die Frage nach Hilfsfristen, die lediglich auf dem Papier stehen. Dies wird nur durch ein konsequentes Qualitätsmanagement und eine entsprechende Steuerung gelingen“, sagte Frank Dastych, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.
„Der Bundesgerichtshof sieht zu Recht die Integrierten Leitstellen als Bestandteil des Behandlungsprozesses. Deshalb müssen Leitstellen - ebenso wie ein Arzt - auf dem Stand von Wissenschaft und Technik arbeiten. Die Leitstellenlandschaft in Deutschland zeigt aber, dass sich gerade kleine Leitstellen damit extrem schwertun. Die Krankenkassen stehen vor dem Problem, dass sie derzeit keine Hebel haben, um für ihre Versicherten eine an Qualitätsstandards ausgerichtete Notrufbearbeitung einzufordern“, erklärte Professor Dr. Andreas Pitz, Direktor des Instituts für Gesundheits- und Life Sciences Recht der Technischen Hochschule Mannheim.
Christof Chwojka, Geschäftsführer für den Bereich Rettungsdienst bei der Björn Steiger Stiftung stellte heraus: „Wer die 112 ruft, bekommt den Rettungsdienst, ob er nötig ist oder nicht. Die Leitstelle kann immer nur ein Rettungsfahrzeug schicken, andere Möglichkeiten gibt es nicht. Wir brauchen eine vernetzte Gesundheitsleitstelle. Hier laufen die 112 für Notfälle und die 116 117 für Anfragen, die keine medizinischen Notfälle sind, zusammen. Diese neue Leitstelle hat Zugriff sowohl auf den Rettungsdienst als auch auf Bereitschaftsdienste, Palliativ-Teams und alle anderen Dienstleister aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich. In Österreich funktioniert das bereits.“
Die Pressekonferenz wurde via Livestream übertragen und ist auch als Mitschnitt auf dem YouTube-Kanal der vdek-Landesvertretung Hessen verfügbar: (https://www.youtube.com/live/5sDJIOSiJhE?t=1320s)
Ansprechperson für die Presse:
Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), Landesvertretung Hessen
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Heike Kronenberg
Telefon: 069 9621 68-20
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